Illustration: Frau mit spielenden Kindern

Kita-Praxis Blick in die Kita

Mit neuen Ideen oder Veränderungswünschen begeben sich Kita-Leitungen oft auf unbekanntes Terrain. Sie können jedoch von den Erfahrungen anderer Einrichtungen profitieren, wenn sie einen Blick über den eigenen Tellerrand werfen. Auf diesen Seiten erhalten Interessierte wertvolle Impulse und Tipps von erfahrenen Akteur:innen mit spannenden Konzepten und Ideen. In Kurzfilmen, Interviews und Fotostrecken gewähren diese einen spannenden Einblick in ihre pädagogische Arbeit in den Themenbereichen Nachhaltigkeit, Sprache und digitale Medien. Die anschaulichen Praxisbeispiele machen Kita-Qualität greifbar, inspirieren und motivieren zum Nachahmen.

Nachhaltigkeit: Videos, Bilderstrecke und Interviews

Wie Abfallvermeidung Spaß machen kann

Dinge neu denken – Upcycling in der Kita

© DKJS/Jakob Erlenmeyer und Nikolaus Götz

Interview: Kinder als Ideengeber:innen für altersgerechte BNE-Projekte

Portrait Kita-Leiterin Anette Junginger
Kita-Leiterin Anette Junginger (Foto: privat)

Tage inmitten der Natur sowie spannende Müllprojekte machen im Zeppelin-Kindergarten der baden-württembergischen Gemeinde Köngen das Thema Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) schon für die Jüngsten greifbar. Wie die Einrichtung Achtsamkeit gegenüber Natur, Tieren und Mitmenschen lebt und wie die Kinder Nachhaltigkeitsprojekte mitprägen, erzählt Anette Junginger in diesem Interview. Sie ist Leiterin des Zeppelin-Kindergartens, der im Jahr 2022 als „FaireKITA“ ausgezeichnet wurde.

Können Sie uns ein paar Beispiele geben, wie Sie Nachhaltigkeitsthemen in der Kita konkret umsetzen?

Anette Junginger: Da ist zum einen der wöchentliche Naturtag, der in unserer Kita-Konzeption fest verankert ist: So verbringen die Kinder von Mai bis September jede Woche einen ganzen Kindergartentag in der Natur – und in den kühleren Monaten sind sie dann zumindest länger im Park. Die Ausflüge in den Wald oder ins Grüne eröffnen den Kindern die Möglichkeit, kreativ zu sein, zu entdecken sowie Tiere und deren Lebensraum kennenzulernen.

Inwiefern wirken sich die Erlebnisse in der Natur auf den „normalen“ Kita-Alltag aus?

Anette Junginger: Indem sich die Kinder bewusst mit ihrer Umwelt und ihrer Verantwortung gegenüber der Natur beschäftigen und überlegen, wie es allen Lebewesen gut gehen kann, entstehen im Kita-Alltag immer wieder neue Ideen und Projekte, wie zum Beispiel zum Thema Insekten.

Beschreiben Sie das Insekten-Projekt gerne genauer.

Anette Junginger: Wir waren gemeinsam beim Imker und haben uns über die Bienen und die Bestäubung der Pflanzen informiert. Daraufhin haben wir rund um die Kita neue Pflanzen und Blumen für Insekten eingesetzt. Die Eltern und Familien unterstützten das Projekt, indem sie der Kita zu Weihnachten eine einjährige Blühpatenschaft schenkten. Damit unterstützt unsere Kita für diesen Zeitraum eine 50 Quadratmeter große insektenfreundliche Blühfläche in unserer Umgebung finanziell.

Sie haben sich im Rahmen Ihrer BNE-Aktivitäten auch intensiv mit dem Thema Müll beschäftigt. Wie kam es dazu?

Anette Junginger: Auslöser des Themas waren die bereits beschriebenen Naturtage und die Spaziergänge, auf welchen die Kinder immer wieder Müll entdeckt haben. Zudem beobachteten sie, wie Vögel und sogar ein Eichhörnchen an Müllpapieren oder Plastikfolien pickten. Die Kinder wollten, dass es den Tieren gut geht und ihre Umgebung sauber aussieht. Irgendwann hatten dann sie selbst die Idee, bei weiteren Spaziergängen eine Tüte mitzunehmen, um den Müll zu sammeln und ihn an dafür geeigneter Stelle zu entsorgen. Diesen Wunsch haben wir aufgenommen und bei den darauffolgenden Spaziergängen Abfall gesammelt.

Wie ging das Projekt dann weiter?

Anette Junginger: Der gesammelte Müll musste ja den verschiedenen Mülleimern zugeordnet werden, so dass wir zum Thema Mülltrennung kamen. Hier durfte jedes Kind zusätzlich alte Glasflaschen mitbringen, die wir gemeinsam zu den Glascontainern gebracht und eingeworfen haben. Das Interesse der Kinder an den verschiedenen Mülleimern und das Beobachten der am Haus vorbeifahrenden Müllabfuhr hat uns dann dazu bewogen, die örtliche Müllentsorgung zu besuchen. An diesem Besuchstag konnten die Kinder die Müllautos genauer kennenlernen und natürlich auch probesitzen.

Was ist dann mit dem gesammelten Müll passiert?

Anette Junginger: Beim Müllsortierspiel begannen die Kinder von selbst, aus dem „Müll“ verschiedene Dinge zu bauen – Osterhasenkörbchen aus leeren Dosen, Müllautos und Blumentöpfe aus Milchtüten, Rasseln aus alten Klorollen und vieles mehr. Sie verwendeten den „Müll“ sogar zum Drucken, Stempeln und Gestalten von Bildern. Nachdem sie merkten, dass viele Dinge, die vermeintlich nicht mehr benötigt wurden, nicht immer Abfall waren, stellten sie eine Kiste in der Kita auf. Darin sammelten sie Schachteln, Klorollen und vieles mehr, aus dem wiederum neue Bastelarbeiten entstanden sind. Wir machen in unserer Kita bewusst viele Kreativangebote aus nachhaltigem Bastelmaterial und fördern das „Upcycling“.

Wie haben die Eltern und Familien auf das Müllprojekt reagiert?

Anette Junginger: Wir haben alle in einem Elternbrief darüber informiert. Sie standen dem Projekt von Anfang an offen gegenüber. Bei den Müllsammelaktionen haben sie ihre Kinder und damit auch unsere Aktionen unterstützt. Letztendlich haben die Eltern und Familien sogar eigene Ideen eingebracht.

Inwiefern?

Anette Junginger: Die Eltern und Familien schlugen vor, auf unserem Kinderkleidermarkt eine große Sammelkiste aufzustellen, in die alle Kleiderspenden hineinlegen konnten. So entstand am Ende ein großes Kleiderpaket, gepackt von unseren Kindern für die „Aktion Hoffnung“ unseres lokalen Eine-Welt-Zentrums. Eine Spende an bedürftige Familien.

Das Müllprojekt hat also große Kreise gezogen – gab es auch eine Art Abschluss?

Anette Junginger: Zum Abschluss des Projekts haben wir auf Wunsch der Kinder nochmals eine große Müllsammelaktion durchgeführt. Jede Familie bekam einen großen Müllsack, in den sie auf dem Weg zum Kindergarten und im Ort Müll sammeln konnten. Diesen Sack brachten sie dann in den Kindergarten, wo wir ein großes Müllsammelfest feierten. Mit Lagerfeuer und Stockbrot haben wir das erfolgreiche Projekt ausklingen lassen.

Wie lassen sich die Interessen der Kinder erfolgreich aufgreifen und fördern?

Anette Junginger: Wenn ein Projekt von den Kindern ausgeht, ist das Interesse von Anfang an vorhanden. Mithilfe von Bildern, Büchern, Spielen oder Gesprächen können schon die Jüngsten zeigen, wie sie sich ein Projekt oder Wunschaktionen vorstellen. So hat sich auch das Müllprojekt immer weiterentwickelt: Aus einer kleinen Idee der Kinder ist eine großartige Sache entstanden, bei der durch die Kleidersammlung letztendlich auch die Eltern und Familien mit einbezogen wurden.

Hatte das Müllprojekt auch Auswirkungen über den Projektzeitraum hinaus? Gab es Dinge, die in den Kita-Alltag übernommen wurden?

Anette Junginger: Ja, zum Beispiel sorgten wiederholte Angebote und verschiedene Mülleimer im Kindergarten dafür, dass sich die korrekte Mülltrennung bei den Kindern mittlerweile als selbstverständlich eingeprägt hat. Außerdem weisen wir nun schon in unseren Kita-Aufnahmegesprächen darauf hin, dass uns das Thema Müllvermeidung sehr wichtig ist und bitten darum, auf Einwegmaterialien in der Vesperdose zu verzichten.

Welche Herausforderungen sind bei BNE-Aktionen wie dem Müllprojekt zu bewältigen?

Anette Junginger: Für uns bestand die größte Herausforderung in der Organisation. Wir wollten immer recht spontan auf die Entwicklung des Projektes eingehen. Dadurch mussten wir zum Beispiel aber auch den Besuch bei der Müllentsorgungsfirma sehr zeitnah organisieren.

Hatten Sie Unterstützung von außen?

Anette Junginger: Ohne die Unterstützung unseres Trägers wäre es nicht möglich gewesen, ein solches Projekt durchzuführen. Unser Hausmeister versorgte uns mit Müllzangen und Handschuhen, der Bauhof kümmerte sich um den Abtransport der Müllsäcke. Und natürlich bedarf es auch der Unterstützung durch motivierte und sensible Fachkräfte sowie aktive Eltern und Familien, die bereit sind, sich einzubringen.

Als „FaireKITA“ beschäftigen Sie sich ja dauerhaft mit BNE-Themen. Abgesehen davon, dass Sie spontan auf die Impulse der Kinder eingehen – wie entstehen längerfristig geplante Projekte?

Anette Junginger: Wir beobachten die Kinder und nehmen ihre Fragen und Ideen auf. Daraus entwickeln wir breit gefächerte Themenangebote. In Kinderkonferenzen und Morgenkreisen überlegen die Jüngsten dann gemeinsam, in welche Richtung ein Projekt gehen soll. Hierbei dürfen alle mitentscheiden und partizipieren: Wir erarbeiten die verschiedenen Schwerpunkte gemeinsam mit den Kindern und lassen sie dann in einem Mehrheitsbeschluss entscheiden, wie ein Projekt beginnen soll.

Was wünschen Sie sich für die nächsten Projekte?

Anette Junginger: Damit noch viele tolle Projekte entstehen können, wünschen wir uns, dass die Kinder weiterhin so interessiert und motiviert bleiben – und uns immer wieder herausfordern.

Wir danken Ihnen für das spannende Gespräch. 

Ernährungsbildung im Kita-Alltag

Interview: Bewusste Ernährung in den Köpfen und im Konzept verankern

Portrait Kita-Leiter Tim Müller
Kita-Leiter Tim Müller (Foto: privat)

Beim Thema Ernährung spielen Nachhaltigkeit und das Auskommen mit schwindenden Ressourcen eine wichtige Rolle. Das kann schon Kita-Kindern vermittelt werden, findet Tim Müller. Er ist der Leiter der Kindertagesstätte „Villa Meilchen“ in Kaiserslautern. Die Einrichtung legt viel Wert auf eine breit gefächerte Ernährungsbildung: Bei gemeinsamen Einkäufen, beim Gemüse-Anbau im eigenen Hochbeet sowie beim Kochen und Backen sensibilisiert die Kita die Jüngsten für eine bewusste und nachhaltige Ernährung. Beim regelmäßigen interkulturellen Frühstück werden auch die Eltern und Familien mit einbezogen. Nicht nur deshalb ist die Einrichtung auf dem besten Weg, bald als Ernährungskita zertifiziert zu werden.

Herr Müller, wie kam es dazu, dass sich die Kita „Villa Meilchen“ so intensiv mit dem Thema Ernährung beschäftigt?

Tim Müller: Das Einzugsgebiet der Kita ist sehr divers, nicht nur kulturell. Auch die finanziellen Mittel und der Bildungsgrad der hier lebenden Menschen sind breit gefächert. Dementsprechend ist auch das Bewusstsein für gesunde Ernährung sehr durchmischt, was sich nicht zuletzt auch in den Brotboxen der Kinder widerspiegelt. Hier wollen wir als Kindertagesstätte durch Ernährungsbildung bei Kindern, Eltern und Familien Aufklärungsarbeit leisten. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass Kinder Nahrungsmittel nicht nur als Energielieferant und zum Erhalt der Körperfunktionen benötigen, sondern auch zur geistigen und körperlichen Entwicklung, sollte bei der Auswahl der Lebensmittel mehr Wert auf Qualität gelegt werden.

Woran würde ein Besucher oder eine Besucherin Ihrer Kita erkennen, dass die bewusste Ernährung Teil des pädagogischen Konzepts ist?

Tim Müller: Wir haben ein großzügig bemessenes Außengelände, auf dem wir viele Beete rund um die Kindertagesstätte angelegt haben. Hier bauen wir neben verschiedenen Kräutern, wie beispielsweise Pfefferminze oder Basilikum, auch Obst und Gemüse an. Zusammen mit den Kindern werden diese gesät, gepflegt und geerntet. Die Ernte wird zum Beispiel zu Tee, Pesto oder auch Gemüsebrühe weiterverarbeitet.

Das sind schon mal gute Eindrücke von außen – wie sieht es innerhalb der Einrichtung aus?

Tim Müller: Unsere Kindertagesstätte verfügt über zwei Bistroräume, die mit wechselnden Schaubildern und Fotos zum Thema Ernährung geschmückt sind. Eine Rezepte-Box im Eingangsbereich lädt die Eltern und Familien ein, sich in den Speiseplan einzubringen. Oft hängen kleine Geschichten zu unseren Ernährungs-Projekten in der Impressions-Ecke. Wir kochen mit einem hohen Anteil an Bio-Lebensmitteln, das ist auch auf dem wöchentlichen Speiseplan vermerkt. Ein deutlicher Zugewinn sind für uns die EU-Schulobst- und EU-Schulmilch-Projekte, da sie unser Verpflegungsangebot hervorragend ergänzen. Die Eltern und Familien erhalten den Speiseplan der aktuellen Woche über unsere Kita-App, sodass sie sich jederzeit und überall über unser Verpflegungsangebot informieren können.

Das Angebot gestalten die Kinder sogar mit, richtig?

Tim Müller: Zunächst entstehen schon in unserem Bistro zur Frühstückszeit offene Gespräche über das Essen. Unser Frühstück ist so konzipiert, dass wir das Frühstücksmenü in einzelne Bestandteile zerlegen und die Kinder sich ihr Essen selbst zusammenstellen. Dadurch bietet sich die Gelegenheit, kreativ zu werden: Es gib dann „Powerhaferflocken mit pürierten Früchten“, „Apfel-Walnuss-Zimt-Brotaufstrich“ oder „Wasser mit Birne und Zitronenmelisse“.

Was ist für Kinder so reizvoll an der gemeinsamen Essensgestaltung?

Tim Müller: Es sind der Spaß am kreativen Prozess und die Vorfreude auf das Ergebnis. Wenn dabei ein (für das Kind) schmackhaftes Rezept entsteht, schreiben wir es auf und heften es im Portfolio des Kindes ab. Wenn es das möchte, hängen wir das Rezept auch in der Impressions-Ecke der Einrichtung aus.

Wie entscheiden Sie und die Kinder, was gekocht werden soll?

Tim Müller: Die Ideen entstehen meistens im Dialog mit den Kindern, während dem Essen oder aus Alltagssituationen heraus. Die Kinder erzählen, was sie gerne mögen und äußern den Wunsch, dies auch mal im Kindergarten essen zu wollen. Außerdem muss die Ernte unseres eigenen Anbaus verwertet werden: Aus den Äpfeln unseres Apfelbaumes kochen wir zum Beispiel Apfelmus und Marmelade, beides wird dann beim Frühstück ausgeteilt.

Wie kam es zur Idee des interkulturellen Frühstücks in Ihrer Einrichtung?

Tim Müller: Interkulturelle Kompetenz setzt interkulturelles Lernen voraus. Deshalb haben wir die Eltern und Familien bei Tür- und Angelgesprächen befragt: Was frühstücken Sie denn eigentlich zu Hause? Was wird typischerweise in Ihrem Heimatland oder im Heimatland Ihrer Familien gefrühstückt? Könnten Sie uns davon mal ein Rezept geben? Hieraus entstand dann die Idee eines internationalen Frühstücks. Mittlerweise bereiten wir einmal im Monat ein typisches Frühstück aus einem Heimatland unserer Familien zu. Die Ideen dazu entstehen durch Gespräche mit den Familien und aus eigenen Recherchen.

Wie trägt dieses Frühstück zur Ernährungs- und Kulturbildung der Kinder bei?

Tim Müller: Auf dem Frühstücksbuffet befinden sich kleine Fähnchen der jeweiligen Landesflagge, Foto-Impressionen und leise landestypische Hintergrundmusik. Das lädt die Kita-Kinder ein, gewonnene Eindrücke mit eigenen Erfahrungen zu verknüpfen, ins Gespräch zu kommen und Fragen zu stellen. Die Kinder, die selbst aus dem ausgewählten Land stammen oder einen Migrationshintergrund haben, erleben, wie sich ihre beiden Lebenswirklichkeiten verknüpfen. Das ist außerhalb der eigenen Familie sonst eher selten der Fall. Sie fühlen sich in ihrer Individualität angenommen und gestärkt. Sie erkennen die Flagge ihrer „anderen Heimat“ oder erzählen, dass es dieses Frühstück auch manchmal zu Hause gibt. Sie erzählen von Reisen zu Orten „wo Mama und oder Papa herkommen“ und was sie dort erlebt haben.

Wie erfahren Sie von den Kindern, ob oder wie ihnen etwas geschmeckt hat?

Tim Müller: Vor kurzem haben wir ein Rückmeldeverfahren für das Mittagessen entwickelt. Die Kinder haben nun die Möglichkeit, nach jedem Mittagessen ein grünes, gelbes oder rotes Gesicht in eine dafür vorgesehene Box zu werfen. Damit können sie zum Ausdruck zu bringen, wie es ihnen geschmeckt hat. Diese Rückmeldung fließt in die zukünftige Essensplanung ein. Was schlecht ankam, wird entsprechend seltener zubereitet.

Wie bringen Sie Abwechslung und neue Gerichte auf den Kita-Speiseplan?

Tim Müller: Mit der bereits angesprochenen Rezepte-Box öffnen wir den Speiseplan für Impulse von außen und erfragen neue Ideen und Wünsche seitens der Eltern, Familien und Kinder. Allein durch die Tatsache, dass wir nur saisonale Produkte anbieten, erhält unser Speiseplan eine natürliche Variation. Und die Kinder erhalten so die Möglichkeit, mit dem Essen auch etwas über den Jahresverlauf zu erfahren.

Gesundes Essen ist in der letzten Zeit immer teuer geworden. Ist diese Entwicklung auch in ihrer Einrichtung spürbar?

Tim Müller: Die Preissteigerungen der letzten Jahre stellen natürlich auch uns vor große Herausforderungen. Hier sind wir fortlaufend auf der Suche nach geeigneten Erzeugern, Händlern und Lieferanten von Bio-Nahrungsmitteln. Ziel ist es, über langfristig ausgelegte Kooperationen ein ausgeglichenes Preis-Leistungs-Niveau aufrecht erhalten zu können. Auch Sammelbestellungen mehrerer Einrichtungen können sich preismindernd auswirken. Ebenso lassen sich Kosten sparen, indem man bestimmte Lebensmittel wie Brot selbst herstellt – aber das ist natürlich eine Frage der Zeit und der Ausstattung.

Sie sprachen von einer diversen Kita-Gemeinschaft. Sicherlich treffen bei Ihnen auch viele verschiedene Bedürfnisse und Essgewohnheiten aufeinander?

Tim Müller: Bei den Kindern häufen sich nicht nur Nahrungsmittelunverträglichkeiten und Allergien, sondern auch Erkrankungen wie Diabetes. Hinzu kommen persönliche und religiöse Essgewohnheiten wie eine vegetarische Ernährungsweise oder der strenge Verzicht auf Schweinefleisch. Wir haben uns entschieden, in der Kita nun generell kein Schweinefleisch mehr anzubieten. Außerdem kocht unser Küchenpersonal nicht nur ein Mittagessen, sondern – je nach Bedarf – mehrere Abwandlungen. Dies stellt einen erheblichen, wenngleich auch notwendigen Mehraufwand dar. Abgesehen von dieser Diversität ist es den meisten Eltern und Familien aber wichtig, dass die Kinder eine ausgewogene und gesunde Ernährung mit hochwertigen Produkten erhalten.

Wie lässt sich die bewusste Ernährung in der Kita-Konzeption verankern und nachhaltig im Kita-Alltag etablieren?

Tim Müller: Meiner Auffassung wird jedes Konzept über einen ganzheitlichen Ansatz etabliert: Zum einen müssen alle Beteiligten den Sinn hinter dem jeweiligen Ansatz sehen. Dann braucht es eine offene Struktur, so dass sich möglichst viele Fachkräfte mit ihren Interessen und Stärken einbringen können. Nicht zuletzt sollten alle überzeugt sein von dem, was Einzelne in das Projekt investieren. Gerade dieser Prozess auf der sogenannten Haltungsebene braucht Zeit und entscheidet über den Verlauf und den Erfolg des Projektes.

Erzählen Sie uns, wie es Ihnen gelungen ist, die gesunde und bewusste Ernährung in Ihr Konzept aufzunehmen?

Tim Müller: Wir haben viele Fortbildungen und Projekte zu dem Thema durchlaufen. Vor allem das rheinland-pfälzische Landesförderprojekt „Kita isst besser“ hat uns Zeit und Ressourcen gegeben, bei diesem Thema einen großen Schritt nach vorne zu machen. Zur Qualitätssicherung haben wir uns die Empfehlungen der DGE genau angeschaut und auf dieser Grundlage einen Vier-Wochen-Rahmenplan entworfen. Dieser beinhaltet keine kompletten Gerichte, sondern Nahrungsmittelgruppen (Getreideprodukt, Hülsenfrüchte, etc.), die in bestimmter Häufigkeit vorkommen müssen.

Waren für die Umstellung bei der Ernährung auch strukturelle Änderungen nötig?

Tim Müller: Auf struktureller Ebene haben wir personelle und zeitliche Ressourcen so geplant, dass die Verpflegungsqualität auch bei Personalausfall aufrechterhalten werden kann. Dazu gehört auch, dem Küchenpersonal ausreichend Zeit einzuräumen, um Speisepläne zu schreiben, Rezepte zu recherchieren und aktiv an der Verbesserung des Verpflegungskonzeptes mitzuarbeiten. Da in fast allen Kitas unseres Trägers frisch gekocht wird und Fortbildungen zur gesunden Ernährung stattfinden, soll zu dem Thema langfristig ein einrichtungsübergreifendes Rahmenkonzept etabliert werden.

Gab es mit Blick auf Ihren Ernährungsschwerpunkt auch positive Nebeneffekte, die Sie zu Beginn noch gar nicht mitgedacht hatten?

Tim Müller: Positiv und unerwartet sind beispielsweise Interviews wie dieses hier. Man merkt, dass das Thema der Schul- und Kindergartenverpflegung immer mehr in den Fokus der Bundesländer, Stiftungen und Studien rückt. Je stärker wir uns positioniert haben, desto häufiger erreichten uns Anfragen, über unsere Kita zu berichten. Wir freuen uns, wenn wir einen kleinen Teil dazu beitragen können. Sei es, indem wir anderen Einrichtungen Mut machen, diesen Weg zu gehen oder indem wir ihnen Ideen zur Umsetzung liefern.

Welchen Tipp würden Sie Kitas geben, die zukünftig mehr Wert auf bewusste Ernährung legen wollen, hier aber noch ganz am Anfang stehen?

Tim Müller: Im Grunde ist es, wie beschrieben, eine Frage der Haltung. In diesem Fall ist es hilfreich, mithilfe von Fortbildungen und Workshops an der Haltung und an dem Wissen der Kita zum Thema Ernährung zu arbeiten. Der Rest nimmt seinen Weg. Und jeder kleine Schritt ist ein weiterer Schritt nach vorne.

Vielen Dank für das spannende Gespräch und Ihre Perspektive auf das Thema.

Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) etablieren

Fairer Handel in der Kita – Ansätze und Impulse

© DKJS/Jakob Erlenmeyer und Nikolaus Götz

Interview: Bildung für nachhaltige Entwicklung wirksam in Kitas umsetzen

Portrait Bildungsreferentin Sabine Mock
Bildungsreferentin Sabine Mock (Foto: © Lokale Agenda 21 Trier e.V./Victor Beusch)

Mit Themen wie sozialer Gerechtigkeit, solidarischem Handeln, globalem Lernen sowie Schutz der Menschenrechte und der Umwelt beschäftigt sich Sabine Mock schon seit Jahrzehnten. Die Qualifizierung zur Fachberaterin „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ war daher ein logischer Schritt für sie. Als Bildungsreferentin des Vereins Lokale Agenda 21 in Trier gibt Sabine Mock nun selbst Fortbildungen zur „Fachkraft BNE im Elementarbereich“ in Rheinland-Pfalz. In diesem Interview spricht sie darüber, wie sich Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) wirksam in Kitas umsetzen lässt und welche Chancen sich daraus für Kinder, Eltern und Kita-Teams ergeben.

Frau Mock, können Sie uns die Aufgaben einer BNE-Fachkraft näher erläutern?

Sabine Mock: BNE-Fachkräfte leisten einen wichtigen Beitrag zur Umwelt- und Nachhaltigkeitsbildung. Sie ermöglichen Kindern Zugänge zur Natur und zur Umwelt und schaffen damit die Grundlage für einen nachhaltigen Lebensstil. Aus dem Erleben mit und in der Natur sowie im eigenen Lebensumfeld unserer gemeinsamen Einen Welt erlangen Kinder wichtige Kompetenzen. Diese sind wiederum Voraussetzung dafür, um Nachhaltigkeit täglich zu leben.

An welchen Personenkreis richtet sich Ihre Qualifizierung zur „Fachkraft BNE“?

Sabine Mock: Angesprochen sind Erzieher:innen in Kindertagesstätten, Fachberater:innen, Lehrkräfte an Fachschulen sowie Freiberufler:innen, die in Einrichtungen, bei Trägern oder bei Trägerverbänden als Multiplikator:innen fungieren. Sie sind sowohl in der eigenen Einrichtung als auch in benachbarten Kitas im Einsatz, um BNE bekannt zu machen und um über entsprechende Angebote zu informieren.

Bildung für nachhaltige Entwicklung ist bekanntlich mehr als ein einmaliges Projekt – wie lässt sich BNE langfristig und wirksam in Kitas etablieren?

Sabine Mock: Bildung für nachhaltige Entwicklung sollte ein Gesamtansatz für die Institutionen der frühkindlichen Bildung sein: Die Art der Betriebsführung, die Auswahl von Verbrauchsgütern sowie die Gestaltung von Gebäude und Gelände sollten – sofern Einflussmöglichkeiten gegeben sind – einer Überprüfung hinsichtlich nachhaltiger Entwicklung standhalten. Gleichzeitig gilt es, Strategien und Maßnahmen zu entwickeln, die sicherstellen, dass entsprechende Bildungspläne verbindlich in der Kita-Praxis umgesetzt werden.

Welche Akteur:innen können dazu beitragen, dass BNE in den Kitas und bei der Ausbildung der Fachkräfte zu einem festen Bestandteil wird?

Sabine Mock: Vertretende von Kita-Trägern und deren Verbänden sind zentrale Ansprechpersonen, die mit dem Wunsch und der Forderung nach BNE adressiert werden können. Sie haben die Möglichkeit, das Thema in den Leitbildern und Qualitätsmanagementkonzepten zu verankern und auf diese Weise eine verbindliche Umsetzung zu gewährleisten.
An Fach- und Hochschulen sollte BNE bestenfalls als ein eigenes Modul, aber auch als Querschnittsbereich eingeführt werden, der die gesamte Ausbildung oder das gesamte Studium durchzieht. Die Aufgabe besteht darin, ein gemeinsames umfassendes Verständnis für die Ziele und Inhalte von BNE zu entwickeln und zu fördern. Daraus lassen sich dann Schritte für einen kontinuierlichen Prozess im Arbeitsalltag einer Kita herleiten. Dabei erfahren Leitungspersonal und pädagogische Fachkräfte das Thema BNE durch konkrete Unterstützungs- und Vernetzungsangebote bestenfalls als selbstverständlichen Teil ihres professionellen Handelns. Sie werden befähigt, entsprechende Veränderungen je nach individueller Ausgangslage vor Ort umsetzen.

Welche Rolle spielt das direkte Umfeld, also der Sozialraum einer Kita für die Beschäftigung mit BNE-Themen?

Sabine Mock: Eine themenbezogene Netzwerkarbeit hilft, BNE im Arbeitsumfeld der Kindertageseinrichtungen zu etablieren. Eine Öffnung der Kitas in das sie umgebende Umfeld, in das Quartier, befördert das Konzept der Bildung für nachhaltige Entwicklung. Durch Kooperationen mit lokalen Institutionen und Netzwerken, die einen Bezug zu Nachhaltigkeit besitzen, kann sowohl der Brückenschlag zu neuen Lernchancen als auch die Förderung des „Umwelt-Lernens“ gelingen.

Wie gelingt es im Kita-Alltag, auch den Jüngsten ein gewisses Bewusstsein für Nachhaltigkeit zu vermitteln?

Sabine Mock: Schon in der frühen Kindheit ist die altersgerechte Auseinandersetzung mit zukunftsrelevanten Themen möglich. Kita-Kinder stellen viele Fragen rund um Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Sie finden die Antworten am liebsten selbst heraus – in Experimenten, kleinen Forschungsprojekten oder bei Ausflügen in die Natur. Naturwissenschaftliche Phänomene können praxisnah und spielerisch behandelt werden, das kommt dem Entdeckergeist der meisten Kinder entgegen.

Inwiefern kann die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Nachhaltigkeitsthemen die kindliche Entwicklung fördern?

Sabine Mock: Die Projektarbeit ist dem kindlichen Lernen in besonderer Weise angemessen und fördert Selbstorganisation, Gemeinschaftssinn, Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse. Dies stärkt wiederum die kommunikative Kompetenz. BNE fördert durch Partizipation, Situations- und Handlungsorientierung auch die Inklusion in der frühkindlichen Bildung. Das Themenfeld lässt die Kinder erleben, wie sie Aufgaben in heterogenen Gruppen gemeinsam und konstruktiv lösen können. Durch den globalen Horizont hat Bildung für nachhaltige Entwicklung außerdem einen engen Bezug zu den Themen Migration und Diversität. Insbesondere in vielfältigen Gruppen, wie wir sie in der frühkindlichen Bildung oft vorfinden, besteht die Chance, dass Kinder die Vielfalt der Menschen und Perspektiven als normal und bereichernd kennenlernen.

Was brauchen die Einrichtungen, um BNE wirksam im Kita-Alltag umzusetzen?

Sabine Mock: Gut ausgebildete pädagogische Fach- und Leitungskräfte sind ein wichtiger Faktor, ebenso wie ein angemessener Personalschlüssel. Wichtige Rahmenbedingungen sind außerdem ausreichend räumliche, finanzielle und zeitliche Ressourcen, um den Prozess auf allen Ebenen zu unterstützen. Die Kita als Lernort für BNE zu begreifen, ist eine Herausforderung und nimmt die Kita als Ganzes in den Blick, mit allen, die am Bildungsauftrag beteiligt sind. Es handelt sich also um einen gesamtinstitutionellen Ansatz. Idealerweise könnte ein Förderprogramm den flächendeckenden und nachhaltigen Umbau von Kitas sowie die Umsetzung einer qualitativ hochwertigen BNE in der Ausbildung, Weiterbildung oder Beratung ermöglichen und stärken.

Sie haben bereits zahlreiche Qualifizierungen zur “BNE-Fachkraft” begleitet – welche Rückmeldung erhalten Sie von den Teilnehmenden, die sich in Ihrer Kita für Nachhaltigkeitsthemen stark machen?

Sabine Mock: Die Teilnehmenden sind interessiert, sich mit Grundlagen der Bildung für nachhaltige Entwicklung zu beschäftigen. Zugleich sind sie motiviert, konkrete Beispiele kennenzulernen, wie man BNE als pädagogische Fachkraft umsetzen und gestalten kann oder welche Partner:innen es dafür gibt. Einige Teilnehmende sind aus eigenem Antrieb schon lange mit ganzem Herzen bei der Sache. Sie wollen die Auswirkungen unseres Handelns auf die Welt verstehen, verantwortungsvolle, nachhaltige Entscheidungen treffen und diese mit den Kindern leben. Sie integrieren BNE also nahtlos.

Das klingt nach großem Engagement. Doch sicherlich ist es für manche Fachkräfte auch nicht einfach, das Gelernte wie geplant in der Praxis umzusetzen. Auf welche Herausforderungen stoßen sie im Kita-Alltag?

Sabine Mock: Manche Adressat:innen empfinden die Komplexität des BNE-Konzeptes als eine Hürde bei der Vermittlung des Themas. In Zeiten des Fachkräftemangels und der gleichzeitig wachsenden gesellschaftlichen und sozialen Herausforderungen erscheinen andere Maßnahmen und Konzepte dringlicher. Sie fühlen sich überfordert, wenn es um die Auseinandersetzung mit BNE geht. Hier ermutigen wir zu einem Zugang nach dem Motto: „BNE heißt: Nicht mehr, aber anders.“ Das Aufsetzen dieser „BNE-Brille“ hilft, bei verschiedenen Themen und Entwicklungen mehr auf die Lösung und die praktische Umsetzung zu fokussieren, statt in pessimistischen Prognosen zu verharren.

Wie schätzen Sie den aktuellen Stellenwert von BNE in unserer Gesellschaft ein? Inwiefern trägt das Engagement in den Kitas dazu bei?

Sabine Mock: Vielleicht sind wir noch nicht lange genug im Prozess, um diese Frage ausreichend beantworten zu können. Aber generell hat Bildung für nachhaltige Entwicklung Rückenwind bekommen. Das zeigen der erklärte Wille von Wissenschaft, Politik, Parteien und Unternehmen, den Klimaschutz zu verstärken und Nachhaltigkeit voranzubringen. Nachhaltige Entwicklung ist heute eine Leitidee und Modernisierungsposition; es gibt positive Signale dafür, dass entsprechende Aktivitäten, Vernetzungen und Forschungsansätze intensiviert werden. Diese Entwicklung bestätigt Kita-Teams in ihrem eingeschlagenen Weg. Wir leben in einer Zeit globaler Veränderungen in Umwelt, Klima und Politik. Die Umsetzung der UN-Ziele für Nachhaltige Entwicklung (SDG – Sustainable Development Goals) wird derzeit viel diskutiert. Da legen die Fachkräfte mit ihrer Entscheidung, BNE in ihrer Einrichtung umzusetzen, zur richtigen Zeit einen wichtigen und innovativen Beitrag vor.

Haben Sie vielen Dank für das spannende Gespräch. 

Weitere Inhalte zum Thema Nachhaltigkeit ...

… finden Sie unter Bildungsthemen/Nachhaltigkeit.

Sprache: Videos, Bilderstrecke und Interviews

Lautsprachunterstützende Gebärden in der Kita

Sprache stärken mit lautsprachunterstützenden Gebärden

© DKJS/Jakob Erlenmeyer und Nikolaus Götz

Interview: Wie lautsprachunterstützende Gebärden (LUG) die Verständigung und Entwicklung von Kita-Kindern fördern

Portrait Silvia und Maren Willwertz
Silvia und Maren Willwertz (Foto: © Tanja Opitz)

Kleine Handzeichen, große Wirkung: Mit lautsprachunterstützenden Gebärden – kurz: LUG – lassen sich Kommunikationsbarrieren abbauen, die kindliche Entwicklung fördern und Teilhabe ermöglichen. Wie Fachkräfte LUG erlernen und wirksam im Kita-Alltag implementieren können, erzählen Silvia Willwertz und ihre Tochter Maren Willwertz in diesem Interview. Silvia Willwertz bietet praxisorientierte Fortbildungen zu LUG für pädagogische Fachkräfte in Kitas an. Silvia und Maren Willwertz leiten in Kitas, Grund- und Förderschulen verschiedene Projekte wie Singen und Erzählen mit Gebärden. Beide arbeiten im Trierer Familienzentrum und Haus der Familie fidibus e.V., eines der zehn besten „Lokalen Bündnisse für frühe Bildung des Jahres“ beim Deutschen Kita-Preis 2020.

Liebe Frau Silvia Willwertz, liebe Frau Maren Willwertz, was sind lautsprachunterstützende Gebärden (LUG) und wie lassen sie sich im Kita-Alltag anwenden?

Silvia Willwertz: Wenn eine pädagogische Fachkraft LUG nutzt, begleitet und unterstützt sie die Lautsprache durch einzelne Gebärden. Es werden zeitgleich zur Aussprache bedeutsame Schlüsselwörter, die für das Verständnis wichtig sind, gebärdet. Diese Gebärden werden aus der Deutschen Gebärdensprache (DGS) abgeleitet, die Grammatik der Lautsprache bleibt bestehen.

Maren Willwertz: Die Kommunikation in der Kita und LUG hängen eng miteinander zusammen. LUG sind eine effektive Methode zur Förderung von Sprachentwicklung und Spracherwerb. Die non-manuelle Kommunikation, etwa über Mimik, ermöglicht das Vermitteln von Informationen. Dieser Aspekt gewinnt in der Gebärdensprache an Bedeutung. Gebärden sind zudem oft einfacher zu erlernen als die Lautsprache, da meistens ein direkter Bezug zur Handhabung von Gegenständen besteht.

Wie kamen Sie beide dazu, sich mit LUG zu beschäftigen und entsprechende Angebote für Kinder und Fachkräfte zu entwickeln?

Silvia Willwertz: Beruflich sind mir viele Kinder begegnet, die sich aus unterschiedlichen Gründen nur wenig oder gar nicht verständigen konnten. Nachdem ich selbst Fortbildungen zu LUG besucht hatte, begeisterte mich diese mutmachende Methode. Denn LUG bauen Brücken in die Lautsprache und öffnen Türen für kleine und große Wunder bei der kindlichen Sprachentwicklung. Nach großartigen und anhaltenden Erfolgen bei einer Vielzahl von Kindern erreichte mich schon bald die Nachfrage nach praxisorientierten Fortbildungen zu LUG, da ich als Fortbildungsreferentin tätig bin.

Maren Willwertz: Während meines Studiums und in meiner Freizeit habe ich im Elementarbereich Erfahrungen mit Kindern gesammelt, die keine oder kaum Kommunikationsmöglichkeiten hatten. Meine Bachelor-Arbeit hatte LUG und Teilhabe im Kita-Kontext zum Thema.

Wie können LUG im Kita-Alltag direkt eingesetzt werden?

Silvia Willwertz: In Kitas und Fortbildungen führe ich die Gebärden nach der „Wie-geht’s-leicht-Methode“ spielerisch und quasi nebenbei in den Tagesablauf ein. Dabei orientiert sich die Methode am pädagogischen Alltag, so dass LUG anhand von Praxisbeispielen wie Liedern, Geschichten, Spielen, Alltagssituationen oder auch beim Gestalten von Übergängen eingeübt werden können. Zudem lassen sich die Gebärden gut im Tageslauf zu wiederkehrenden Ritualen und Abläufen einsetzen, etwa im Morgenkreis, beim Tischspruch oder beim Benennen von Farben. Wer sich mit den theoretischen Hintergründen und ersten Praxisbeispielen auseinandersetzen möchte, kann mit LUG in der Kita loslegen.

Apropos theoretischer Hintergrund – woher bekommen die Fachkräfte diesen und was sind weitere Voraussetzungen für die Einführung der LUG im Kita-Alltag?

Silvia Willwertz: Ein idealer Start ist eine Teamfortbildung in LUG, um theoretisch und praktisch in das Thema einzusteigen. Wenn die pädagogischen Fachkräfte die Vorteile von LUG kennen, etwa dass Gebärden ortsunabhängig sind und sie die Sprach- und Kommunikationsentwicklung der Kinder mit LUG über mehrere Sinne fördern können, steigt die Akzeptanz. Erste Erfolge zeigen schnell, dass die Fortführung der LUG im Kita-Alltag sinnvoll ist.

Maren Willwertz: Die Fachkräfte nehmen eine entscheidende Rolle beim Erlernen der Gebärdensprache ein. Der Einstieg erfolgt mit einigen Schlüsselwörtern, um Überforderung zu vermeiden. Die Gebärden werden spielerisch erlernt und mit gesprochener Sprache verknüpft. Nach den ersten eigenständigen Gebärden können weitere schrittweise eingeführt und in alltägliche Situationen in der Kita eingebunden werden, zum Beispiel beim Aufräumen, bei Bastelaktionen und vielem mehr.

Welches Format haben Fortbildungen in LUG – und wie lange dauern sie?

Silvia Willwertz: Das kann unterschiedlich sein, je nach Bedarf der Kita. Ich selbst biete ein- bis zweitägige praxisorientierte Fortbildungen vor Ort in einer oder mehreren Kitas eines Trägers an oder kombiniere eine eintägige Fachkräfteschulung mit einem Praxistag (mit Fachkräften und Kindern) in der Einrichtung. Bei Bedarf und Wunsch kann eine Eltern-Mitmachaktion im Anschluss an die Fortbildung für die Familien angeboten werden. Nach der Erarbeitung eines Grundwortschatzes sind Aufbau-Module zur Erweiterung des Gebärden-Wortschatzes im Präsenz- oder Online-Format möglich. Interessierte können LUG aber auch einrichtungsunabhängig lernen und dafür modulare Online-Fortbildungen oder Vor-Ort-Kurse bei unterschiedlichen Anbieter:innen besuchen.

Kinder lernen anders als Erwachsene – wie kann man schon den Jüngsten Gebärden beibringen?

Maren Willwertz: Zentral ist das Schaffen einer Beziehung zum Gegenüber. Die Wechselwirkung zwischen der Entwicklung des Symbolverständnisses und der Sprachentwicklung basiert auf den erlebten Erfahrungen des Kindes. Wie bei anderen Sprachen sollten LUG daher eng an die Lebenswelt des Kindes und an die Situation vor Ort angepasst sein – eine Kommunikation auf Augenhöhe mit den Kindern ist zentral.

Silvia Willwertz: Die Kinder sind fasziniert von dieser „Zaubersprache“ und fragen bald nach mehr Gebärden. Thematisch ist es sinnvoll, in Bereichen zu starten, die für die Jüngsten bedeutsam sind. Dazu gehören beispielsweise „Ja“ und „Nein“ sowie Begriffe zum Essen und zum Tagesablauf. Ein großer Vorteil ist, dass der Wortschatz partizipativ und kleinschrittig gemeinsam mit den Kindern und im eigenen Tempo erweitert werden kann. Am Anfang gilt: Weniger ist mehr!

Wie lässt sich in der Kita dann ein richtiger „Gebärden-Wortschatz“ aufbauen?

Maren Willwertz: In Kitas ist es wichtig, Gebärden einheitlich und gruppenübergreifend einzuführen. Wenn die erlernten Gebärden dokumentiert werden, können alle Beteiligten das Erlernte auch nochmal nachschlagen.

Silvia Willwertz: Schon in den Fortbildungen ermutigen wir die Fachkräfte, gemeinsam Visualisierungsmaterialien zu erstellen und in einem Gebärdenordner sammeln. Darüber hinaus sollten sie LUG immer bedarfsgerecht, dem Gebärden-Wortschatz der Kinder angemessen und kontinuierlich anwenden. Andernfalls gehen die Gebärden verloren, so wie bei jeder Fremdsprache, die man lange nicht nutzt.

Gibt es Herausforderungen beim Erlernen der LUG?

Silvia Willwertz: Beim Gebärden „sprechen“ nicht nur die Hände, der ganze Körper spricht mit. Mimik, Lautstärke und nonverbale Botschaften spielen eine wichtige Rolle. Dies kann zu Beginn eine Herausforderung für die pädagogischen Fachkräfte sein. Ein Beispiel: Wer das Wort „fröhlich“ gebärdet, kann dabei in der Mimik nicht traurig aussehen. Wenn die Kinder Erwachsene erleben, die die Gebärden authentisch, mit Freude und selbstverständlich ausführen, dann können sie die Gebärden leichter nachahmen. Die Fachkräfte sollten sich also ihrer Vorbildrolle bewusst sein.

Maren Willwertz: Zusätzlich ist es wichtig, neben den anderen pädagogischen Fachkräften im Team auch die Eltern und Familien mit einzubeziehen. Deren Beteiligung ist essenziell.

Silvia Willwertz: Genau. Die Akzeptanz im Team und in der Eltern- und Familienarbeit kann herausfordernd sein, nicht immer wird sofort der Mehrwert von LUG erkannt. Bei der Zusammenarbeit mit den Eltern und Familien ist Transparenz wichtig, sie brauchen Informationen darüber, wie LUG eingesetzt werden wird. Bei regelmäßigen Mitmachaktionen, etwa im Elterncafé, können sie erleben, wie intensiv und begeistert ihre Kinder die Gebärden einsetzen.

Von den Eltern und Familien zurück zu den Kindern. Was macht LUG für Kinder interessant?

Maren Willwertz: Durch das erfolgreiche Anwenden der LUG können die Kinder sich verständigen und mit ihrem Umfeld sozial interagieren. Somit fördern Gebärden Teilhabe in der Gesellschaft und ermutigen, weiter zu kommunizieren.

Silvia Willwertz: Gebärden entsprechen dem kindlichen Bedürfnis, sich mitzuteilen. Die Fachkräfte berichten mir, dass LUG auch Kinder mit undeutlicher Artikulation beim Verstehen und bei der Verständigung unterstützen. Sie können zum Beispiel ähnlich klingende Wörter wie „Suppe“ und „Puppe“ mit der dazugehörigen Gebärde leichter unterscheiden. Sie können sich trotz eingeschränkter Lautsprache verständigen, mit anderen in Kontakt kommen und am Geschehen teilhaben. Diese positiven Erfahrungen ermutigen und inspirieren die Kinder, stärken ihr Selbstbewusstsein und bereichern das soziale Miteinander.

LUG tragen also zur Inklusion von Kindern mit eingeschränkter Lautsprachkompetenz bei?

Maren Willwertz: LUG sind vorteilhaft sowohl für Kinder, die – aus welchem Grund auch immer – (noch) nicht sprechen, als auch für alle anderen Kinder. Denn die Gebärden fördern auch die Körperwahrnehmung und den Erwerb einer Fremdsprache. Es kommen mehrere Sinne zum Einsatz – das ist sowohl für die ausführende als auch für die empfangende Person von Vorteil. Wer LUG verwendet, spricht langsamer und in kürzeren Sätzen, wodurch sich die Verständigung und das Verständnis verbessern. Damit ermöglicht die Methode eine effektive Kommunikation und Interaktion aller Seiten.

Silvia Willwertz: Genau – LUG sind ein wertvoller und leicht zu handhabender Beitrag zu Inklusion und Partizipation. Und Gebärden macht sehr viel Spaß. Je mehr Menschen einen Grundwortschatz an Gebärden erlernen, desto mehr dient es jenen, die auf Gebärden oder gebärdenunterstützte Kommunikation (GuK) angewiesen sind. LUG erweitern den Horizont und sensibilisieren alle Kinder für weitere Kommunikationsformen. Gemeinsam erlernen sie mit den LUG eine weitere, sehr bildhafte Sprache.

Abgesehen von der Kommunikation und der Inklusion – gibt es weitere Bereiche, auf welche sich LUG positiv auswirken können?

Maren Willwertz: Beim Verwenden von LUG werden mehrere Sinnesorgane gleichzeitig betätigt. Das begünstigt das Lernen und stärkt die motorischen Fähigkeiten der Kinder.

Silvia Willwertz: Zahlreiche Studien und Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass der Einsatz von LUG neben der Sprachentwicklung auch die ganzheitliche Entwicklung fördert. Dazu gehören beispielsweise die Auge-Hand-Koordination, eine verbesserte Aufmerksamkeitsspanne sowie generell die Achtsamkeit gegenüber der Körpersprache anderer Menschen. Ein zusätzlicher, sowohl für Kinder als auch für Fachkräfte „angenehmer“ Nebeneffekt ist, dass der allgemeine Geräuschpegel in der Kita sinkt, weil zum Verständnis der Gebärden ggf. auch die Flüstersprache ausreicht.

Welche Rückmeldungen erhalten Sie von Kita-Teams, Kindern und Familien, die in ihrer Kita LUG eingeführt haben?

Silvia Willwertz: Bisher war die Resonanz durchweg sehr positiv. Vor allem stille und zurückhaltende Kinder sowie Kinder mit Migrationshintergrund oder mit Behinderungen nutzen LUG erfolgreich. Fachkräfte sowie Eltern und Familien bemerken die Leichtigkeit und die Freude, mit der die Kinder die Gebärden aufnehmen. Sie spüren den positiven Einfluss auf die ganzheitliche Entwicklung der Jüngsten. Alle Kinder wollen kommunizieren, so dass LUG einen Zugewinn an Lebensfreude und Lebensqualität, Selbstbestimmung und Teilhabe bedeuten. Das ermutigt mich immer wieder, die Anwendung von LUG im pädagogischen Alltag weiter zu verbreiten.

Wir danken Ihnen für das spannende Gespräch!

 

 

 

Verschiedene Sprachen sichtbar machen und fördern

Mehrsprachigkeit in der Kita leben

© DKJS/Jakob Erlenmeyer und Nikolaus Götz

Mehr Kommunikation durch spielzeugfreie Zeiten

Interview: Spielzeugfreie Zeiten fördern Sprachkompetenz und Kreativität

Portrait Pädagogische Fachberaterin Heike Westermann
Pädagogische Fachberaterin Heike Westermann (Foto: privat)

Wie spielzeugfreie Zeiten das Spielverhalten von Kita-Kindern fördern können, hat Heike Westermann schon bei ihrer damaligen Tätigkeit als Leitungsfachkraft nachhaltig beeindruckt. Mittlerweile arbeitet sie als pädagogische Kita-Fachberaterin und bietet Fortbildungen zum Thema „Spielzeugfreie Zeiten“ an. In diesem Interview beschreibt sie, welche Schritte wichtig sind, wenn eine Kita Zeiten ohne vorgefertigtes Spielmaterial einführen will und was das Projekt für Teams, Träger, Familien und Kinder bedeutet.

Frau Westermann, was sind die Vorteile einer spielzeugfreien Zeit in der Kita?

Heike Westermann: Meiner Ansicht nach offenbart eine spielzeugfreie Zeit viele Chancen und Möglichkeiten für alle Beteiligten. Die Karten werden sozusagen einmal neu gemischt, so dass sich zum Beispiel Kinder ganz anders zeigen können als zuvor. Oftmals entstehen auch neue Kinderkonstellationen in den Gruppen, die es ohne das Projekt vermutlich nicht gegeben hätte. Es findet viel mehr Partizipation statt, Strukturen und Regeln werden neu überdacht, die Sprache wird gefördert. Die Bedeutung des Spiels wird ersichtlich, weil die Angebote nicht von Erwachsenen vorgegeben, sondern von Kindern entwickelt werden. Das ist ein sehr partizipativer und kreativer Prozess, der oft auch noch nach dem Projekt nachwirkt.

Wie wirkt sich ein solches Projekt auf die Arbeit der Fachkräfte aus?

Heike Westermann: Das Team macht sich gemeinsam auf den Weg, probiert etwas Neues aus, meistert dabei Herausforderungen und entwickelt neue Ideen. Die Fachkräfte gehen während der spielzeugfreien Zeit vermehrt in die Beobachtung und beschäftigen sich mit der Frage, wie sie Kindern Impulse geben können, ohne Vorgaben zu machen. Sie nehmen also eine neue Rolle ein – das wirkt sich auch auf die Zusammenarbeit im Team aus.

Was sind die ersten Schritte von der Idee bis zur Umsetzung einer spielzeugfreien Zeit?

Heike Westermann: Der erste Schritt besteht darin, dass ein Team sich im Vorfeld intensiv mit dem Projekt „Spielzeugfreie Zeit“ auseinandersetzt. Ziel ist es, zunächst konkrete Informationen zu erhalten und eine gemeinsame Haltung zum Projekt zu entwickeln.

An dieser Stelle setzen Sie wahrscheinlich auch mit Ihrer Fortbildung an?

Heike Westermann: Genau. Je nachdem, ob eine Kita das Konzept nur kennenlernen oder tatsächlich umsetzen will, konzipiere ich die Fortbildung nach Bedarf. Dabei beschäftigen sich die Teams mit Fragen wie: Was bedeutet „spielzeugfrei“ konkret? Welche Kompetenzen werden dadurch gestärkt? Wo würde das Spielzeug hinkommen? Gibt es Vorbehalte oder Ängste im Team – und wie sieht ein möglicher Ablauf aus?

Wenn sich eine Kita für die spielzeugfreie Zeit entscheidet – wie geht es dann weiter?

Heike Westermann: Es sind Ziele, Abläufe und Absprachen zu erarbeiten. Es hat sich bewährt, eine Timeline zu erstellen, mit konkreten Daten, wer wann informiert und ins Boot geholt wird. Es ist wichtig, zunächst den Träger zu informieren und anschließend auch die Eltern, Familien und Kinder.

Wie sollte der Träger in das Projekt eingebunden werden?

Heike Westermann: Ich empfehle immer, den Träger im Vorfeld zu informieren und sich abzustimmen. So kann dieser bei Nachfragen von Eltern oder Familien sicher agieren und wird auch bei möglichen Beschwerden nicht unvorbereitet „erwischt“. Manche Kitas laden Trägervertreter:innen zu Eltern-Informationsveranstaltungen ein, sodass eine Transparenz gegeben ist. Bei der Organisation und Finanzierung von Fortbildungen kann der Träger ebenfalls eine Unterstützung sein. Nicht zuletzt können Träger auch bei der Suche nach einem Lagerort für die vielen Kartons mit Spielmaterialien behilflich sein. Nicht jede Kita verfügt über freie Keller- oder Abstellräume.

Wie lassen sich auch die Eltern ins Boot holen?

Heike Westermann: Das ist in Kitas sehr unterschiedlich und hängt von der gelebten Praxis der Erziehungspartnerschaft ab. Ich würde jeder Kita dringend raten, sich für diesen Schritt viel Zeit zu nehmen und frühzeitig damit anzufangen. Eltern und Familien müssen die Möglichkeit haben, sich zu informieren, Fragen zu stellen und mögliche Sorgen mitzuteilen.

Kann man auch die Kinder bei den Vorbereitungen einbeziehen?

Heike Westermann: Um sie mit dem Projekt vertraut zu machen, eignen sich Morgenkreise, Kinderkonferenzen oder auch Gespräche im Freispiel. Es gibt gute Bilderbücher, wie zum Beispiel „Der blaue Stuhl“ oder „Was mache ich mit einer Idee“, die Kinder gut auf die Zeit ohne Spielzeug vorbereiten. Auch Rollenspiele der Fachkräfte zum Thema Langeweile oder der Besuch einer Handpuppe, die von einer spielzeugfreien Zeit in ihrer Kita erzählt, machen das Projekt konkreter für die Kinder. Ja, und dann geht das Projekt mit dem Einpacken und Wegbringen der Spielzeuge für sie so richtig los.

Eine spielzeugfreie Zeit bedeutet für viele Kitas eine große Umstellung. Was erleichtert das „Hereinwachsen“ in ein solches Projekt?

Heike Westermann: Ist eine Kita größer, kann die spielzeugfreie Zeit gegebenenfalls nur in einer Abteilung oder Etage stattfinden, je nachdem wie viele Fachkräfte sich auf das Projekt einlassen möchten. So lassen sich erste Erfahrungen sammeln. Zudem sollten Leitungsfachkräfte besonders zu Beginn des Projektes mehr Besprechungszeiten im Team einplanen. Spielzeugfreie Zeiten sind ungewohnt, daher braucht es Raum, um eigene Gefühle oder Unsicherheiten auszusprechen und sich kollegial zu beraten. Wichtig ist auch, die „Zaubermomente“ der spielzeugfreien Zeit zu sammeln und Erfolge miteinander zu feiern.

Welche Rolle nimmt die pädagogische Fachkraft während der spielzeugfreien Zeit ein?

Heike Westermann: In der spielzeugfreien Zeit besteht die Herausforderung darin, sich als Fachkraft sehr zurückzuhalten. Die eigene Rolle besteht darin, einzelne Kinder und das Gruppengeschehen zu beobachten. Die Fachkräfte geben nur Impulse, wenn sie danach gefragt werden oder wenn einzelne Kinder es für ihr Wohl benötigen. Das ist für viele Erwachsene gar nicht so einfach.

Warum fällt ihnen diese Zurückhaltung so schwer?

Heike Westermann: Wenn Erwachsene beobachten, wie sich Kinder bei einer Sache schwertun, ist es oft ein erster Impuls, eine Lösung für ihr Problem anzubieten. Nehmen wir mal an, die Kinder würden es nicht schaffen, selbst einen „Vorhang“ für ein Theaterstück zu befestigen – dann sollte eine Fachkraft ihnen nicht gleich dabei helfen, nur um Frust zu vermeiden. Denn damit würde sie den Kindern die Möglichkeit nehmen, selbst Lösungsideen zu entwickeln, Materialien einzufordern oder sich bei anderen Kindern Hilfe zu suchen.

Welche Bedeutung haben bereits etablierte Rituale und Regeln während dieser besonderen Zeit?

Heike Westermann: Die Zeit ohne Spielzeug verläuft nicht ohne Regeln, jedoch werden viele neu hinterfragt. Auch der Tagesablauf ist – je nach Gestaltung der spielzeugfreien Phase – oftmals weniger vorhersehbar. Manche Kitas, die sonst ein festes Gruppenfrühstück anbieten, ermöglichen es Kindern dann, Ort und Zeit der Mahlzeit frei zu wählen. Da gibt es schon mal ein Frühstück in der Höhle unter dem Tisch. So eine Veränderung kann manche Fachkräfte verunsichern oder herausfordern.

Inwiefern ist das eine Herausforderung für Fachkräfte?

Heike Westermann: Manchmal kommt es zu Zweifeln, sie fühlen sich in ihrer neuen Rolle und mit den Veränderungen unwohl. Sie brauchen gegebenenfalls Unterstützung durch das restliche Team. Wenn es im Verlauf des Projekts massive Personalengpässe oder andere dauerhafte Belastungen gibt, erlebt das Team die spielzeugfreie Zeit bisweilen als sehr große Herausforderung.

Wie finden Kinder die Idee einer spielzeugfreien Zeit?

Heike Westermann: Kinder sind üblicherweise von Beginn an sehr offen für das Projekt. Sie freuen sich auf die Veränderung und finden es spannend, alle Materialien in große Kartons zu packen und dann in den Keller oder in den Abstellraum zu transportieren. Manchmal versuchen sie auch, mit den Fachkräften zu verhandeln, dass bestimmte Spielmaterialen wie Bausteine oder Puppen „bleiben dürfen“.

Und wenn der Tag ohne Spielzeug dann tatsächlich gekommen ist?

Heike Westermann: Dann reagieren Kinder sehr unterschiedlich. Manche ziehen sich erst einmal etwas zurück und beobachten, was in der Gruppe oder in den Räumen so passiert. Andere beginnen gleich, Stühle und Tische umzuräumen. Und dann gibt es fast immer auch Kinder, die erstmal ausprobieren, welche Regeln noch bestehen und was jetzt – in der veränderten Zeit – anders möglich ist. Sie rennen, toben und ringen um die wenig vorhandenen Materialien.

Das klingt aber nach mehr Unruhe als sonst …

Heike Westermann: Oftmals ist es in den ersten Tagen lauter und unruhiger als zuvor. Nach und nach entwickeln die Kinder dann neue Spielideen. Sie bringen sich von zu Hause Materialien mit, die sie für ihr Vorhaben benötigen. Außerdem entstehen neue Konstellationen in den Spielgemeinschaften.

Wie verhalten sich die Kinder im Verlauf der Zeit ohne Spielzeug?

Heike Westermann: Manche genießen den Alltag mit wenig von Erwachsenen vorgegebenen Strukturen sehr, sie blühen auf und werden sehr kreativ und ideenreich. Es gibt aber auch Kinder, die sich langweilen und von sich aus wenig Eigeninitiative zeigen. Sie kommen erst nach einer längeren Zeit – oder in Ausnahmefällen auch gar nicht – richtig im Projekt an. Diese Kinder benötigen auf jeden Fall viel Unterstützung. Deren Eltern und Familien dann oftmals auch.

Welche Rückmeldungen erhalten Sie von Eltern und Familien?

Heike Westermann: Wie man sich denken kann, gibt es nicht DIE Reaktion der Eltern oder Sorgeberechtigten. Die Rückmeldungen sind sehr vielfältig: Immer häufiger berichten Familienmitglieder, dass sie als Kind selbst schon eine spielzeugfreie Zeit in der Kita erlebt haben. Was hilfreich ist, denn sie können sehr anschaulich davon berichten. Viele freuen sich auch mit Blick auf Nachhaltigkeit, Konsum und Suchtprävention, dass ihren Kindern ein solches Projekt ermöglicht wird.

Das klingt nach überwiegend positiven Reaktionen – die spielzeugfreie Zeit weckt bei manchen Eltern und Familien sicherlich auch Befürchtungen?

Heike Westermann: Manche machen sich natürlich auch Sorgen über mögliche Auswirkungen des Projekts. Sie fragen sich, ob ihr Kind dann noch genauso gern in den Kindergarten gehen möchte, ob es möglicherweise traurig sein oder sich langweilen wird. Sie fragen sich, wie es sich verhalten wird, wenn es nachmittags von der Kita abgeholt wird. Es ist wichtig, diese Fragen präsent zu haben und regelmäßig mit besorgten Eltern und Familien ins Gespräch zu gehen. Insbesondere Angehörige von Kindern, die vor dem Übergang in die Schule stehen, sind häufig verunsichert. Sie befürchten, dass ihren Kindern durch die spielzeugfreie Zeit wichtige Inhalte zur Vorbereitung auf die Schule verloren gehen.

Wie können Kita-Leitung und pädagogische Fachkräfte solchen Bedenken entgegenwirken?

Heike Westermann: Sie können transparent machen, wie das Projekt eine Vielfalt an Kompetenzen stärkt, die auch für den Schulstart sehr hilfreich sind. Ratsam ist auch, schon im Vorfeld der spielzeugfreien Zeit klarzumachen, dass sich das Projekt nicht gegen herkömmliches Spielzeug richtet. Denn dieses Gefühl entstehe oft bei Eltern und Familien, berichten Kursteilnehmer:innen. Manchmal lassen sich die Vorbehalte trotz einer sehr ausführlichen Projektvorstellung nicht vollständig ausräumen, einige Angehörige bezweifeln generell den Sinn des Projekts. Hier sind dann Geduld und eine gute Begleitung seitens der Fachkräfte gefragt.

Klingt nach einer herausfordernden Zeit für die Fachkräfte …

Heike Westermann: Herausforderungen gibt es bei der spielzeugfreien Zeit fast immer, da will ich gar kein falsches Bild aufkommen lassen. Das Projekt verläuft selten ohne Stolpersteine – schließlich stellt es, wenn auch zeitlich befristet, eine gravierende Veränderung für alle dar. Es kann auch unter den Kindern zu mehr Konflikten kommen, da um Materialien oder Ideen gerungen wird oder weil der Umgang mit den eigenen Gefühlen noch nicht so gut gelingt. Das wird von den Fachkräften oftmals als Belastung erlebt.

Wie können Sie ihnen in einer solchen Phase Mut machen?

Heike Westermann: Es ist ein Ziel des Projektes, die Kinder im eigenständigen Lösen von Konflikten zu stärken. Außerdem hat es schon viele spannende und wichtige Diskussionen in den Teams oder auch auf Elterninformationsveranstaltungen hervorgerufen: Da ging es um die Bedeutung kindlichen Spiels, dem Bild vom Kind, die Frage, was Kinder in der heutigen Welt für Fähigkeiten benötigen, um Mitbestimmung und Entscheidungsmöglichkeiten von Kindern oder auch um das Thema Nachhaltigkeit in der Kita.

Wie lässt sich das Konzept der spielzeugfreien Zeit nachhaltig im Kita-Alltag etablieren?

Heike Westermann: Nachhaltigkeit ergibt sich oft dadurch, dass Kinder und Teams nach dem Projekt gar nicht mehr in den ursprünglichen Zustand zurückkehren möchten: Rituale wie ein reflektierender Kinderkreis, ein von ihnen allein moderierter Spiel- oder Morgenkreis oder zahlreiche bedeutungsoffene Materialien und Werkzeugen werden gerne beibehalten. Die Kinder holen danach oft deutlich weniger Spielzeug hervor und wählen es gründlich aus. Auch Fachkräfte legen nicht einfach wieder ihre zurückhaltende Rolle ab – im besten Fall trauen sie den Kindern weiterhin viel mehr zu als vor dem Projekt. Viele Kitas führen die spielzeugfreie oder -arme Zeit als festen Bestandteil im Jahres- oder Zweijahres-Rhythmus dauerhaft ein. Dies wird dann konzeptionell festgehalten und zu einem verlässlichen Qualitätsmerkmal der Einrichtung.

Sie arbeiten auch als Kita-Fachberaterin. Inwiefern fördert das Projekt die kindliche Sprachentwicklung?

Heike Westermann: Während der spielzeugfreien Zeit müssen die Kinder viel kommunizieren. Denn wenn sie eine Spiel- oder Bau-Idee haben, müssen sie diese zum einen richtig interessant machen für die anderen. Zum anderen müssen sie dann auch die gemeinsame Umsetzung ausdiskutieren. Diese Abstimmung der Kinder untereinander ist mit vorgefertigten Spielmaterialien nicht unbedingt nötig.

Können Sie dafür ein Beispiel geben?

Heike Westermann: Mit Spielzeug wie Duplo können die Kinder ohne große Abstimmung ein Haus bauen – schließlich wissen alle, wie die Steine aufeinandergesetzt werden. Doch wie können sie gemeinsam ein Haus aus Zeitungen bauen und welche Materialien benötigen sie dafür? Indem die Kinder gemeinsam überlegen, aushandeln und verwerfen, stärken sie ihre Kommunikationsfähigkeit und erweitern ihren Wortschatz. Gleiches gilt für ein anderes Beispiel: Wenn ein Kind möchte, dass ein Stock im Garten ein Stoppschild für andere sein soll, muss es das überzeugend kommunizieren – sonst würde niemand das Signal als solches erkennen. So werden die Kinder schließlich auch darin gestärkt, ihre Gefühle gegenüber anderen verbal oder nonverbal auszudrücken.

Sie bringen die Idee der spielzeugfreien Zeit mit Suchtprävention in Verbindung – können Sie das genauer erläutern?

Heike Westermann: Der „Spielzeugfreie Kindergarten“ wurde Anfang der 90er-Jahre im Rahmen eines Suchtarbeitskreises entwickelt, um Kinder für den Umgang mit den Herausforderungen des Lebens zu stärken. Vor allem sollte das Projekt sie präventiv darin unterstützen, bei schwierigen Gefühlen, Misserfolgen oder auch Langeweile nicht sofort auf Ablenkungen oder Ersatzbefriedigungen zurückzugreifen.

Inwiefern wirkt sich das auch auf die Persönlichkeitsbildung aus?

Heike Westermann: Während der spielzeugfreien Zeit haben die Kinder ausreichend Raum und Zeit, sich ins Spiel zu vertiefen und dabei vielfältige Erfahrungen zu machen sowie Kreativität und Fantasie zu entwickeln. Im ungestörten Spiel mit bedeutungsoffenen Materialien nehmen sie eigene Gefühle und Bedürfnisse wahr, sie lernen sich und ihre Gefühle kennen und treffen viele, eigene Entscheidungen. Dabei übernehmen sie Verantwortung für sich selbst und die Gruppe, da die Erwachsenen weniger steuern.

Beobachten Sie auch langfristige Veränderungen im Spielverhalten der Kinder?

Heike Westermann: Ja. Während der spielzeugfreien Zeit erleben alle Beteiligten, dass Kinder gar nicht viel vorgefertigtes Spielzeug benötigen, um ihre Ideen zu verwirklichen. Diese Erfahrung ist eindrücklich und führt oftmals zu Veränderungen zum Beispiel in der Raumgestaltung, auch nach dem Motto: Weniger ist mehr. Oft überträgt sich das Projekt auch ins familiäre Umfeld: Die Kinder fangen auch zuhause an, Spielzeug auszusortieren und Materialien wie Verpackungen, Papier, Knöpfe oder Hölzer ins Kinderzimmer zu holen. Sie machen vermehrt Rollenspiele und zeigen deutlich mehr Kreativität und Phantasie.

Vielen Dank für das interessante Gespräch!

Weitere Inhalte zum Thema Sprache ...

… finden Sie unter Bildungsthemen/Sprache.

Digitale Medien: Video und Interview

Digitalisierung im Kita-Alltag

Digitale Medien in der Kita – ein Mehrwert für Kinder und Kita-Team

© DKJS/Jakob Erlenmeyer und Nikolaus Götz

Eltern und Familien bei der Digitalisierung mitnehmen

Interview: Digitale Medien sind selbstverständlicher Teil pädagogischer Arbeit

Portrait Sozialpädagogin Petra Wolf
Sozialpädagogin Petra Wolf (Foto: privat)

Digitale Medien prägen den Alltag in Kitas und Familien. Wie pädagogische Fachkräfte und Eltern auf diese Entwicklung reagieren und sowohl ihre eigene als auch die Medienkompetenz der Kinder stärken können, erläutert Sozialpädagogin Petra Wolf in diesem Interview. Die Referentin für Jugendmedienschutz und Medienpädagogik bei der Aktion Jugendschutz (ajs) in Baden-Württemberg vermittelt Kita-Fachkräften und Eltern wichtige Fähigkeiten zur Medienerziehung und unterstützt Leitungsfachkräfte bei der Entwicklung medienpädagogischer Konzepte.

Frau Wolf, welche Bedeutung haben digitale Medien bereits im Kita-Alter?

Petra Wolf: Im Alltagsleben von Kindern sind Medien und ihre Angebote selbstverständlich präsent. Die Kindheit heute ist eine „Medienkindheit“: Schon die Jüngsten wachsen in einer mediatisierten Welt auf. Sie erleben täglich, wie wichtig mobile Geräte für ihre Eltern und Geschwister sind. Ein Heranwachsen ohne Bezug zu und Berührung mit digitalen Medien ist nicht mehr denkbar. Kitas, die sich an der kindlichen Lebenswelt orientieren, kommen nicht umhin, die Relevanz der Medien im Alltag von Kindern zu berücksichtigen und diese selbstverständlich in die pädagogische Arbeit einzubeziehen.

Welche konkreten Erfahrungen machen Kinder im Alltag mit digitalen Angeboten?

Petra Wolf: Kinder erleben digitale Medien im privaten Umfeld hauptsächlich als passive Nutzer:innen. Sie konsumieren Angebote aus der professionellen Medienbranche – sei es durch Zuschauen, Zuhören oder Spielen. Das pädagogische Umfeld sollte ihnen Gelegenheiten bieten, diese Medienerfahrungen zu reflektieren und zu verarbeiten. Kinder sollten Medien nicht nur rezipieren, sondern sie als Werkzeuge entdecken, mit deren Hilfe sie sich mit ihren Themen auseinandersetzen können.

Wie können Kita-Fachkräfte fördern, dass sich Kinder aktiv mit Medieninhalten auseinandersetzen?

Petra Wolf: Sie können zum Beispiel die Medienheld:innen der Kinder regelmäßig zum Thema machen und diese malen oder in einem kurzen Videoclip auftreten lassen. So erfahren die pädagogischen Fachkräfte, welche Themen die Kinder beschäftigen. Daraus ergeben sich wiederum vielfältige Gesprächsanlässe. Mit Medienprojekten – von der Bilderbuchgeschichte über das Hörspiel bis hin zum Trickfilm – können sie Lernprozesse anregen und die Jüngsten bei ihrer Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenswelt unterstützen.

Können digitale Medien auch bestehende Bildungsangebote ergänzen?

Petra Wolf: Die aktive Medienarbeit lässt sich sehr gut mit anderen Bildungsbereichen der Elementarpädagogik verknüpfen. Zum Beispiel, indem bei Naturerkundungen in der Kita eine digitale Kamera zum Einsatz kommt. Oder bei der Nutzung eines Tablets mit einem angeschlossenen Endoskop-Mikroskop.

Was brauchen Kita-Fachkräfte, um Kinder fit zu machen für den Umgang mit digitalen Medien?

Petra Wolf: Um Medienerziehungskompetenzen aufzubauen, ist zunächst eine professionelle Haltung zum Thema Medienbildung notwendig. Dazu gehört auch ein Verständnis, dass kindliche Medienaneignung von Anfang an im Prozess des Aufwachsens erfolgt und eng mit der kindlichen Entwicklung verbunden ist.

Wie kann eine Kita-Leitung die Medienkompetenz im Team stärken?

Petra Wolf: Es bietet sich an, im Team einen Austausch zum Thema Medienbildung zu initiieren und die eigene Medienbiografie zu reflektieren, um Gedanken, Vorbehalte und Unsicherheiten zu thematisieren. Darüber hinaus gilt es, die unterschiedlichen Fähigkeiten aller Mitarbeitenden sowie den Bedarf an fachlicher Qualifizierung zu erkennen. Beides ist zentral, denn ohne das entsprechende Know-how und die Fähigkeiten lässt sich frühkindliche Medienkompetenz nicht fördern. Die Fachkräfte müssen sich selbst sicher fühlen, um medienpädagogische Konzepte wirksam umzusetzen.

Welche Qualifizierungsmöglichkeiten gibt es im Kita-Kontext?

Petra Wolf: Eine gute Möglichkeit ist zum Beispiel eine Inhouse-Fortbildung, die dem Team das Wissen über kindliche Medienwelten und entsprechende Aneignungsprozesse vermittelt. Zudem ist es hilfreich, Ideen und Methoden kennenzulernen, mit welchen Kita-Fachkräfte selbst medienpädagogische Angebote entwickeln und umsetzen können. Zur Qualifizierung von pädagogischen Fachkräften und Leitungsfachkräften, die eine medienpädagogische Konzeption entwickeln möchten, hat die Aktion Jugendschutz in Baden-Württemberg z. B. das Fortbildungsangebot „MeKKi“ (Medienpädagogische Konzeptionsentwicklung für Kindertageseinrichtungen) entwickelt. Es vermittelt Medienerziehungskompetenzen sowohl für die Kita als auch für den Alltag in den Familien.

Wie lässt sich die Medienerziehung dauerhaft im Kita-Alltag verankern?

Petra Wolf: Für diese wichtige Aufgabe brauchen Kindertageseinrichtungen eine medienpädagogische Konzeption, die frühkindliche Medienbildung in einen geregelten institutionellen Kontext stellt und Anforderungen wie Zuständigkeiten klar benennt. Hierfür müssen sich die Verantwortlichen mit den medienpädagogischen Zielen und Leitlinien der Einrichtung auseinandersetzen. Idealerweise werden diese mit allen Beteiligten wie Träger, Team und Elternvertretung diskutiert. Ziel ist eine gemeinsame Haltung, die in der Konzeption zum Tragen kommt.

Es ist wahrscheinlich eine Herausforderung, bei verschiedenen Akteur:innen eine gemeinsame Haltung zu finden. Welche Vorgehensweise empfehlen Sie?

Petra Wolf: Zunächst ist möglichst differenziert zu erfassen und zu diskutieren, welchen medienpädagogischen Bedarf der Träger und das pädagogische Personal aus fachlicher Perspektive sehen und was sich die Eltern wünschen. Hilfreiche Fragen könnten sein: Wo begegnen uns die Medienerfahrungen der Kinder in der Kita? Wie wachsen sie heute mit Medien auf? Was bedeutet das für unsere pädagogische Arbeit? Was möchten wir gemeinsam zum Wohl der Kinder erreichen? Aus den Antworten lassen sich konkrete Ziele, gewünschte Ergebnisse der Medienbildung sowie Ideen für die Integration der Medien in die Bildungsbereiche formulieren.

Nach den Zielvereinbarungen geht es um die Umsetzung des medienpädagogischen Konzepts – welche Entwicklungsschritte sind hier wichtig?

Petra Wolf: Zunächst erfolgen eine Bestandsaufnahme und eine Bedarfsermittlung in der Kita. Dazu gehören zum Beispiel der Wissens- und Erfahrungsstand sowie der Fortbildungsbedarf im Team, aber auch räumliche und technische Voraussetzungen. Die medienpädagogische Konzeption sollte einen klaren und orientierenden Rahmen für die Einrichtung vorgeben: Wie gestalten und organisieren wir die Mediennutzung? Wie stellen wir uns den Umgang der Kinder mit den Medien vor? Welche Freiheiten oder auch Reglementierungen soll es geben? Darüber hinaus ist es wichtig, Praxiserfahrungen zu sammeln sowie erste Medienprojekte zu planen und zu evaluieren.

Warum ist es wichtig, den Träger bei der Entwicklung eines medienpädagogischen Konzepts einzubinden?

Petra Wolf: Die qualitative Weiterentwicklung von Förderangeboten in Kindertageseinrichtungen ist rechtlich gesehen zunächst einmal Sache des Trägers – demnach spielt er eine wichtige Rolle bei der Medienbildung. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Träger, Fachberatung und Einrichtungsleitung ist bei der Einführung einer medienpädagogischen Konzeption unumgänglich. Vor allem die Aspekte Datenschutz, technische Ausstattung sowie die Einbindung des Medienbereichs in das Kita-Leitbild erfordern eine kontinuierliche Abstimmung zwischen Einrichtungsleitung und Träger.

Wie kann der Träger die Medienbildung in seiner Einrichtung konkret unterstützen?

Petra Wolf: Im Trägerkonzept sollten klare Positionen und Absichten formuliert werden, die als Leitfaden für die Konzeptionsarbeit dienen. Zudem sollte der Träger für die notwendigen Rahmenbedingungen sorgen, also den Ausbau der digitalen Infrastruktur, technische Ausstattung und Support, Wartung und Pflege der Geräte. Darüber hinaus ist der Träger auch für die (Weiter-)Entwicklung der erforderlichen Kompetenzen bei den Fachkräften verantwortlich.

Wie reagieren Eltern und Familien auf die Einführung digitaler Medien in der Kita?

Petra Wolf: Eltern reagieren in der Praxis oft sehr unterschiedlich auf das Vorhaben, im frühkindlichen Bereich mit Medien zu arbeiten. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, sie von Anfang an einzubeziehen und sie über die Absichten und Ziele zu informieren.

Wie lässt sich die Akzeptanz in der Elternschaft steigern?

Petra Wolf: Dies geschieht beispielsweise durch Präsentationen von bereits durchgeführten medienpädagogischen Projekten oder im Rahmen von Eltern-Kind-Nachmittagen, bei denen digitale Medien gemeinsam aktiv und kreativ genutzt werden. Es geht darum, Eltern und Familien zu vermitteln, dass Medien unterstützende Werkzeuge im Bildungsprozess sind und das kreative, bildungsorientierte Gestalten im Mittelpunkt steht. Eine transparente Kommunikation sowie ein kontinuierlicher Austausch mit den Eltern über die alltäglichen Medienerfahrungen der Kinder führen zu einem besseren gegenseitigen Verständnis. Fachkräfte erhalten so wertvolle Einblicke in die Mediennutzung der Familien und können die Eltern besser einbeziehen.

Eltern tragen eine große Verantwortung, wenn es um die altersgerechte Mediennutzung ihrer Kinder geht. Wie können Kitas – und damit vor allem pädagogische Fachkräfte – Eltern und Familien hierbei unterstützen?

Petra Wolf: Die Kindertagesstätte sollte ein Ort sein, der informiert, berät und den Austausch zwischen den Eltern und Familien fördert. Auf diese Weise lässt sich die Problemlösungskompetenz der Eltern und Familien aktivieren und stärken. Wenn es um Fragen zur Medienerziehung und um mögliche Verhaltensänderungen geht, lassen sich vorhandenes Wissen und Erfahrungen nutzbar machen: Die Fachkräfte können Eltern und Familien durch offene Gespräche, Elternabende und Workshops über die Vor- und Nachteile der Mediennutzung der Kinder aufklären und gleichzeitig deren Fragen und Bedenken ernst nehmen. Sie können Familien helfen, die richtige Balance in Sachen Mediennutzung zu finden, indem sie Empfehlungen für altersgerechte Inhalte, Bücher, Filme, Apps und Spiele aussprechen und über den technischen Jugendmedienschutz informieren.

Außer den Eltern gibt es sicherlich auch Fachkräfte, die digitalen Medien in der Kita mit einer gewissen Skepsis gegenüberstehen. Was sind deren Argumente?

Petra Wolf: Manche Fachkräfte sorgen sich, dass digitale Medien in Kindertagesstätten dazu führen könnten, dass die Kinder zu lange vor Bildschirmen sitzen, deren Medienkonsum steigt oder dass die Medien andere Angebote im Kita-Alltag verdrängen.

Wie kann die Kita-Leitung auf solche Bedenken reagieren?

Petra Wolf: Durch sensibles Eingehen und transparente Kommunikation. Es gilt, den Fachkräften zu vermitteln, dass digitale Medien nicht als Selbstzweck, sondern als Werkzeuge für kreative Projekte genutzt werden. Zum Beispiel zum Erstellen digitaler Bilderbücher oder zum Filmdreh. Es ist wichtig zu betonen, dass bei der aktiven Medienarbeit nicht nur die technischen Geräte im Fokus stehen, sondern auch die Bewegung sowie das Sprechen, Singen oder Malen. So lassen sich vielfältige Lern- und Bildungsmöglichkeiten generieren.

Inwiefern tragen Informations- und Qualifizierungsangebote zur Akzeptanz digitaler Medien bei?

Petra Wolf: Viele Bedenken lassen sich zum Beispiel abbauen, wenn die Fachkräfte die Gelegenheit erhalten, digitale Medien, technische Geräte und Apps selbst auszuprobieren – ähnlich wie man ein Bilderbuch oder ein Brettspiel vor dem Einsatz testet. Wenn die Mitarbeitenden selbst Spaß am kreativen Gestalten haben, entwickeln sie meistens auch eine positive Haltung gegenüber Medien in der Kita.

Welche Anlaufstellen gibt es für Fachkräfte und Eltern, die sowohl ihre eigene als auch die Medienkompetenz der Kinder stärken wollen?

Petra Wolf: Zum einen können Bibliotheken, die sich zunehmend mit digitalen Medien befassen, wertvolle Partner sein. Zum anderen gibt es zahlreiche externe medienpädagogische Angebote von Landes- und Kreismedienanstalten oder von freiberuflichen Pädagoginnen und Pädagogen. Interessierte können vor Ort nach Anbietern suchen, die in Form von Workshops, Seminaren, Elternabenden oder auch in persönlichen Gesprächen unterstützen. Alternativ gibt es die Möglichkeit, sich von bundesweit tätigen Akteur:innen Methodenkarten oder Materialienboxen zur Medienbildung und -erziehung zusenden zu lassen.

Und speziell für Baden-Württemberg: Die Aktion Jugendschutz vermittelt und qualifiziert Referierende, die im LandesNetzWerk für medienpädagogische Angebote zusammenarbeiten und vor Ort für Eltern, Familien und Fachkräfte Veranstaltungen zum Umgang mit Medien anbieten. Die medienpädagogische Beratungsstelle des Landesmedienzentrums bietet Eltern sowie pädagogischen Fachkräften persönliche Beratung und Unterstützung bei der Medienerziehung. Die Mitarbeiter:innen der Beratungsstelle vermitteln qualifizierte Referent:innen für Workshops oder Elternabende und unterstützen bei der Planung und Durchführung der Veranstaltung. Die Caritas Stuttgart bietet mit der DigiTales-Materialienbox für Kitas Methodenkarten, um alltagstauglich, niedrigschwellig und konstant Medienbildung zu implementieren, Methodenkarten für die medienpädagogische Elternarbeit sowie Impulskarten, um mit den Kindern aktive Medienarbeitsangebote durchführen zu können. Mit der Verteilung der Materialienbox geht eine Schulung zur Einführung in die Materialien einher. Und das Ohrenspitzer-Projekt der Stiftung MedienKompetenz Forum Südwest bringt seit 2003 Kinder im Alter zwischen drei und 14 Jahren mit der Bedeutung des gekonnten Zuhörens, interessanten Hörspielen und aktiver Hörspielgestaltung in Berührung. Es können Hörkoffer ausgeliehen und Referent:innen gebucht werden.

Gibt es auch komplett kostenfreie Angebote für Kitas, die sich vielleicht erst einmal „im Kleinen“ an das Thema herantasten wollen?

Petra Wolf: Technische Materialien lassen sich in manchen Kreismedienzentren unentgeltlich ausleihen. Zudem gibt es im Internet zahlreiche kostenfreie Angebote, zum Beispiel zur Förderung der Sprach- und Medienkompetenz: So stellt die Broschüre „Sprachförderung mit Medien unterstützen“ medienpädagogische Methoden zur Förderung der Sprach- und Medienkompetenz vor. Der „Sprachschatz – Bibliothek und KiTa Hand in Hand“ gibt Impulse zur Sprachförderung mit digitalen Medien.

Wie könnten erste medienpädagogische Schritte konkret aussehen?

Petra Wolf: Am besten erkunden Fachkräfte gemeinsam mit den Kindern die Welt der digitalen Medien und bauen diese kreativ in den pädagogischen Alltag ein. Ein praktischer Startpunkt für medienpädagogische Aktivitäten in der Kita ist der gemeinsame Austausch mit den Kindern über ihre Lieblingsmedienheld:innen. Bei der Planung eines ersten kleinen Medienprojekts kommen idealerweise auch die Kompetenzen und Vorlieben aus dem Team zum Tragen.

Welchen Tipp haben Sie für Teams, die digitale Medien im Kita-Alltag etablieren wollen?

Petra Wolf: Gehen Sie in kleinen Schritten vor: Starten Sie mit einem gemeinsamen Austausch zum Thema Medienbildung und nutzen Sie beispielsweise einen Team-Tag für eine medienpädagogische Inhouse-Veranstaltung. Suchen Sie den Austausch mit Kitas, die die Arbeit mit digitalen Medien bereits implementiert haben. Vielleicht ergibt sich die Gelegenheit, bei einem Medienprojekt zu hospitieren. Lassen Sie sich Zeit zum Ausprobieren und Herantasten, bevor Sie ein eigenes medienpädagogisches Konzept entwickeln. Wenn Sie zielgerichtet vorgehen, können Sie Kindern einen selbstbestimmten, kompetenten, kreativen und sozial verantwortlichen Umgang mit Medien vermitteln.

Haben Sie vielen Dank für das spannende Gespräch! 

 

Weitere Inhalte zum Thema Digitalisierung und Medien ...